Energiewende - Notfallplan

Quelle: Haller Tagblatt

 

Blackout – plötzlicher Stromausfall in Hall: Keine Panikmache, sagt der Stadtwerkechef – trotz der deutschen Kraftwerkslandschaft, die derzeit soviel Strom exportiert wie noch nie. Er erklärt, worauf es bei der Energiewende ankommt.

Gehen demnächst mal die Lichter in Schwäbisch Hall komplett aus?

Dieses Szenario sehe ich nicht als reine Panikmache. Das kann in den nächsten Jahren jeder Zeit auch in Hall mal passieren. Wir exportieren auf der Verbundebene zwar derzeit sogar Strom, aber oft wird in der aktuellen Diskussion beim Thema Versorgungssicherheit der europaweite Zusammenhang vergessen. Ein Grundsatz der Elektrotechnik lautet: in jedem Augenblick, in der man den Strom braucht, muss man diesen auch zeitgleich produzieren. Erzeuger- und Verbraucherlast müssen dabei ständig im Gleichgewicht gehalten werden.

 

Wie wird das geregelt?

Dieses Gleichgewicht wird europaweit im gesamten Verbundnetz über ein Lastmanagement in Schaltzentralen geregelt. Es müssen viele Faktoren mit- und vorausbetrachtet werden, wie beispielsweise in Abnahmekurven die Abhängigkeit von Wetter und Nutzerverhalten. Gefährlich für die Versorgungssicherheit kann dabei eine Über- genauso wie eine Unterlastung werden. Die Dynamik der Laständerungen wird oft unterschätzt, vor allem beim Ausbau der Erneuerbaren Energien.

 

Was bedeutet das konkret?

Wenn ein Kraftwerk ausfällt, das für den Grundlastbedarf an Strom gebraucht wird, dann muss das entsprechend ausgeglichen werden, indem beispielsweise Energie aus Speichern oder mehr aus den verbleibenden Kraftwerken zufließt. Anspruchsvoller wird diese Aufgabe durch den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien.

 

Warum?

Weil diese Einspeisung speziell in Deutschland mittlerweile hohe Leistungswerte aufweist und schwankend ins Stromnetz fließen. Nun darf man aber nicht unter Berufung auf die Systemsicherheit den Ausbau der Erneuerbaren Energien verteufeln. Vielmehr gilt es, insbesondere die Verteilnetzbetreiber in die Ausregelung der schwankenden Energieflüsse stärker einzubinden als dies bisher geschieht. Die Regelaufgabe ist dabei im lokal begrenzten Verteilnetz wie in Hall durchaus ebenso aufwendig wie im Verbundnetz. Wenn beispielsweise in Schwäbisch Hall der Himmel aufreißt, steigt die Einspeiseleistung der Fotovoltaik schlagartig von fast 0 auf über 45.000 Kilowatt an.

 

Was für einen Notfallplan gibt es für Hall bei einem plötzlichen Stromausfall der vorgelagerten Ebene?

Wir fahren dann unsere Eigenstromversorgung hoch und schaffen 70 Prozent des Bedarfs durch diesen Inselbetrieb. Die Möglichkeit in so einem Fall so viel Eigenstromversorgung kurzfristig ans Netz zu bringen, haben deutschlandweit lediglich etwa 20 von 1000 Stadtwerken. Diese Inselnetzversorgung können wir dann dann einige Stunden aufrechterhalten. Ein bundesweiter Strom-Blackout verursacht immense Kosten – pro Stunde rund 750 Millionen Euro, wenn nicht schnell reagiert wird.

 

Neben Trassen fehlen im Verhältnis zum Ausbau vor allem Speichermöglichkeiten der Energie aus erneuerbaren Quellen – welche Entwicklungen gibt es hier?

Neben Pumpspeicherkraftwerken sehe ich in erster Linie nur eine Möglichkeit, um große Mengen Strom aus erneuerbaren Energien auch längerfristig speichern zu können. Diese Technik wird Power to Gas oder Methanisierung genannt.

 

Wie funktioniert das?

Dabei wird Strom aus erneuerbaren Energien wie beispielsweise der Offshore-Windenergie für die Elektrolyse genutzt, bei der Wasserstoff gewonnen wird. Dieser Wasserstoff kann dann durch weitere Verfahren in synthetisches Erdgas umgewandelt und ins bestehende Erdgasnetz eingespeist werden. Da sowohl das Erdgasnetz als auch die Speicher für Erdgas deutschlandweit relativ gut ausgebaut sind, bietet dieses Verfahren zumindest kurzfristig die größten Speicherkapazitäten mit den geringsten Beschränkungen.

 

Wo liegt das Problem?

Der Wirkungsgrad fällt im weiteren Umwandlungsprozess immer weiter ab. Denn aus dem synthetischen Erdgas muss durch Verbrennung erste einmal wieder Strom gewonnen werden, so dass der Wirkungsgrad der gesamten Kette auf letztlich 36 Prozent einschrumpft. Es wird voraussichtlich noch zehn Jahre dauern, bis das effektiver und in größerem Stile genutzt werden kann. Bei Power to Heat sind wir da bereits viel weiter.

 

Was bedeutet das?

Dabei geht es um Kraft-Wärme-Kopplung. In Hall werden derzeit über 60 Prozent des dort verbrauchten Stroms in Kraft-Wärme-Kopplung produziert. In Blockheizkraftwerken an über 30 Standorten wird aus Erdgas und Biomethan gleichzeitig Strom und Wärme hergestellt. Die Wärme wird als Heizung genutzt. Wir haben in Hall und Umgebung ein gut ausgebautes Netz an Nah- und Fernwärmeleitungen. Durch den hohen Primärenergiewirkungsgrad des Blockheizkraftwerks weist das Gesamtsystem eine hohe Energieeffizienz auf. Diese ist sogar bezogen auf die Primärenergieeinsparung höher als man über eine energetische Sanierung im Altbau sparen kann. Dennoch ist natürlich diese energetische Sanierung des Gebäudebestandes wichtig und muss auch gemacht werden, denn so erreichen wir eine weitere Primärenergieeinsparung. Allerdings fehlen hierfür immer noch die finanzielle Anreize vom Staat für die vielen Hausbesitzer. Die 30 Kraftwerke in Schwäbisch Hall bilden im Wärmeverbund ein sogenanntes virtuelles Kraftwerk.

 

Was bedeutet das?

Es sind viele kleinere Anlagen, aber durch die Verbindung über das Wärme- und Stromnetz können diese wie ein großes betrachtet werden. Ähnlich wie ein europaweites Lastenmanagement Angebot und Verbrauch der Energie regelt, machen die Haller Stadtwerke dies auf lokaler Ebene über SEKOS – ein spartenübergreifendes Energie- und Kosten-Optimierungssystem.

Kommentar

Ein sehr guter Beitrag, der die Problematiken sehr anschaulich beschreibt. Zur Problematik Power-to-Gas siehe auch Energiewende ins Nichts.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0